
Automatik oder Schaltgetriebe im Gelände? Diese Frage provoziert!
Die schlagenden Argumente lauten „ist mir noch nie passiert“, „fahre im Gelände nur Schaltgetriebe“, „Automaten sind viel anfälliger“, „konnte auf meinen Reisen keine Vorteile vom Automat erkennen“, usw.
Nur sind das keine Argumente, schon gar keine schlagenden. Das ist lediglich Glück, Gewohnheit und Bauchgefühl.
Vergleichen wir die technischen Gegebenheiten. Als Automat bezeichne ich in diesem Beitrag automatische Getriebe mit vorgeschaltetem Drehmomentwandler. Keine Doppelkupplungsgetriebe.
Die Vorteile des Schaltgetriebes gegenüber dem Automaten:
Es ist leichter
Es ist preiswerter
Es ist leichter zu reparieren
Es hat einen geringfügig besseren Wirkungsgrad
Getriebeöl ist billiger als ATF
Man kann das Auto anschleppen zum Motorstart
Rausschaukeln ist einfach möglich
Die Vorteile des Automaten gegenüber dem Schaltgetriebe:
1. Etwa zweieinhalb-fach höheres Moment bei niedrigen Motordrehzahlen durch den Drehmomentwandler.
2. Keine Überhitzung des Wandlers auch bei langer Kriechfahrt mit hoher Last, da das Wandleröl über den Kühler mitgekühlt wird.
3. Unterbrechungsfreie Zugkraft während des Schaltvorgangs.
4. Unempfindlich gegenüber Fehlbedienung.
5. Da sämtliche Zahnräder ständig im Eingriff sind, ergibt sich ein geringerer Verschleiss.
6. Da der Drehmomentwandler die Kupplung ersetzt, entsteht auch hier kein Verschleiss.
Zu 1.:
Stellen sie sich eine steile Bergaufstrecke mit grobem Gestein vor.
Ihnen ist klar, dass auch im Interesse der Bereifung gefühlvoll und langsam bergauf geschlichen werden muss. Dafür benötigen sie ein Mindestdrehmoment an den Räder, das auch bei Vorhandensein eines Reduktionsgetriebes eine Mindestdrehzahl des Motors voraussetzt. Diese Mindestdrehzahl würde unter den gegebenen Umständen zu einer unverantwortlich hohen Geschwindigkeit führen.
Hier spielt der Drehmomentwandler seine Stärke aus – das Fahrzeug kann auch im Stillstand und bei Kriechfahrt genügend Kraft an die Räder bringen, um schonend nach oben klettern zu können.
Die gleiche Situation mit Schaltgetriebe würde nach wenigen Sekunden zu einer verbrannten Kupplung führen.
Zu 2.:
Das Wandleröl wird in dieser Situation stark erhitzt, da der Wirkungsgrad eben keine 100% beträgt. Das heisse Wandleröl wird durch den Wasserkreislauf des Kühlers geführt und somit auf akzeptablen Temperaturen gehalten.
Zu 3.:
Stellen sie sich eine schöne Dünenauffahrt vor.
Die Reduktion ist sicher schon eingelegt, sie rollen zügig im 4. Gang an den Dünenfuss, das Auto wird langsamer, Kupplung 3. Gang, es wird noch langsamer, Kupplung 2. Gang, noch 1m bis zur Kuppe. Jetzt hilft nur noch der 1. Gang. Kupplung, hässliches Schlagen des Antriebsstrangs und das Auto steht. Aus und Aussteigen…
Der Automat kennt die Zugkraftunterbrechung durch die Kupplung nicht. Das Drehmoment steht auch während des Schaltvorgangs an den Rädern an. Den einen Meter bis zur Kuppe schafft der Automat, das Schaltgetriebe nötigt den Fahrer zum Bleche legen….
Zu 4. – 6.:
Mögliche Fehlbedienungen beim Schaltgetriebe gibt es einige, die alle hinlänglich bekannt sein dürften:
Zu früh oder zu spät schalten, falschen Gang wählen, Gang rausspringen lassen, Kupplung schleifen lassen, mit der Kupplung Drehzahlunterschiede provozieren usw.
Alle diese Fehlbedienungen belasten oder schädigen das Getriebe. Beim Automaten sind diese Fehler nicht möglich.
Das ist auch ein Grund, weswegen die zweifellos einfachere Instandsetzung eines Schaltgetriebes kaum ins Gewicht fällt.
Aber auch die Reparatur in einer afrikanischen Werkstatt ist nicht generell ausgeschlossen.
Die Nachteile des Automaten gegenüber dem Schaltgetriebe.
Der Drehmomentwandler beginnt erst eine kraftschlüssige Verbindung zwischen Rädern und Motor herzustellen, wenn eine Mindestmenge Öl in das Wandlergehäuse gepumpt wurde. Beim Anschleppen wird kein Öl gepumpt und ohne Öl im Wandler hat der Motor keine Veranlassung sich zu drehen. Er springt niemals an.
Im Notfall kann man manuell Öl in das Wandlergehäuse füllen, das nach dem Anlaufen des Motors wieder abgelassen werden muss. Funktioniert, macht aber keinen Spass!
Der Hersteller könnte aber eine Sekundärpumpe eingebaut haben, die in diesem Fall während des Schleppens von den Rädern angetrieben und so den Wandler mit Öl füllen, das Getriebe schmieren und dann den Motor mitdrehen würde.
Diese Technik findet man z.B. in den älteren (oder sind es schon alte?) Mercedes G-Modellen mit dem 4-Gang-Automat und den OM 616 und 617 Dieselmotoren. Da die Sekundärpumpe im Bereich des ADAC nicht benötigt wird, wurde das aus Kostengründen eingespart. Schade.
Das Abschleppen – ohne Sekundärpumpe – ist ebenfalls über längere Strecken nicht zulässig, da der Automat nicht mit Öl versorgt wird.
Folglich muss vor dem Abschleppen die Kardanwelle zwischen Automat und Zwischengetriebe bzw. beide Kardanwellen zwischen den Achsen und dem Zwischengetriebe ausgebaut werden.
Das Rausschaukeln ist möglich aber es ist etwas mehr Fussspitzengefühl erforderlich. Durch die sanfte Drehmomenterzeugung des Automaten erhält man länger Bodenkontakt durch Haftreibung. Daher ist Rausschaukeln weniger häufig notwendig.
Falls doch:
1. Gang vorwärts bis die Haftreibung verloren geht, Fussbremse mit linkem Fuss, Rückwärts-Gang einlegen, langsam und gefühlvoll Gas geben, Bremse lösen bis die Haftreibung beim Rückwärtsfahren verloren geht usw. Das Ergebnis ist nach vielen Erfahrungen sowohl im Schnee, als auch im Sand oder Schlamm dem Rausschaukeln mit Schaltgetriebe ebenbürtig. Nur etwas diffiziler.
Auf der Autobahn bemerkt man vielleicht noch einen Nachteil. Einzelne km/h weniger in der Endgeschwindkeit und 3 oder 4% Mehrverbrauch auf 100km. Bei den neuesten 7 und 9-Gang Automaten ist der Wirkungsgrad so viel besser, dass das kaum mehr festzustellen ist.
Automatik oder Schaltgetriebe im Gelände? Deine Meinung?
Hier noch eine etwas ältere Expertenmeinung von meinem TÜV-Ersatz: https://newsroom.kues.de/2014/09/15/test-tour-offroad-mit-automatik-getriebe/
Jetzt ab ins Gelände, viel Spass und niemals ein defektes Getriebe,
Bernd Woick
Hallo Herr Woik,
ich fahre seit 1982 Geländewagen mit Schaltgetriebe.
Dezember 1999 bis Februar 2012 Einen TOYOTA KZJ 95, 3,0 ltr., Automatikgetriebe.
Ab September 2012 einen Mercedes G 300 CDI Professional mit Automatikgetriebe.
Obigen Bericht habe ich gelesen und kann dem zustimmen. Was ich noch nicht probiert habe ist das „Rausschaukeln“.
Nun zu meiner Frage:
In der Westsahara bin ich als „Vorfahrer“ im Fech-Fech steckengeblieben. Der Mercedes hat sich nicht mehr bewegt. Ich konnte Gas geben soviel ich wollte, die Motordrehzahl hat sich erhöht aber es kam kein Kraftfluß an den Rädern an. Das begleitende Fahrzeug ein TOYOTA HZJxx hat mich herausgezogen. Auf festerem Untergrund ist der Mercedes problemlos an- und weitergefahren.
Dies ist mir in den Vogesen auf einem Feldweg nochmals passiert. Auch hier wurde wieder mit Fremdhilfe der Mercedes ein paar Meter gezogen
und ich konnte problemlos weiterfahren. Auch die Mercedeswerkstatt konnte mir keine Erklärung geben da im Fehlerspeicher nichts abgelegt war.
Beim letzten Griechenlandurlaub hatte ein franz. Allrad-Sprinter mit Automatik das gleiche Problem.
Hattest Du dieses Problem auch schon?
Liebe Grüße
Günter
Hallo Günter,
das Problem hatte ich mit unserem Duro einmal in Argentinien. Mit dem G nie.
Grundsätzlich zeigt das, dass zu wenig Drehmoment erzeugt wird. Die Frage ist, warum?
Da ich die Bereifung nicht kenne, nur mal den allgemeinen Hinweis. Wenn grössere Reifen montiert worden sind, ohne die Differential-Untersetzung mit zu ändern, fehlt es in solchen Situationen am Anfahrmoment.
Weitere Möglichkeit ist, dass die maximale Motor-Drehzahl bei stehenden Rädern nicht (mehr) zur Kennlinie des Wandlers passt. Der Wandler hat dann ggfs. nicht die angepasste Ölfüllung. Oder Der Lader steigt zu spät ein. Das könnte ein Steuerungsproblem sein. Aber derartige Ferndiagnosen sind mit Vorsicht zu geniessen.
Mein Tipp – falls alles Andere okay ist – sind eher übergrosse Bereifung…
Mit freundlichen Grüßen
Bernd
Danke für die schnelle Antwort.
235/85 x 16 sind montiert und die Reifengröße wurde bei Mercedes-Benz entsprechend im Steuergerät hinterlegt. An der Differentialuntersetzung wurde nichts geändert, da ja werkseitig auch die 235/85 x x16 vorgesehen sind. Der Fehler ist ja nur zweimal aufgetreten bei mittlerweile 245.000km.
Ölfüllung habe ich nicht kontrolliert, aber ich habe alle 60.000km das Getriebeöl im Automatikgetriebe und im Wandler wechseln lassen.
Freundliche Grüße
Günter
Interessant wäre zu wissen, bis zu welcher Drehzahl der Motor in dieser Situation hochdreht (hochgedreht hat…).
Ganz doofer Gedanke:
Hat die Anti-Schlupfregelung da reingespuckt? Die reduziert das Abtriebsmoment vom Motor massiv, wenn die glaubt, Schlupf zu erkennen. Der Sprinter hat auf jeden Fall ASR, der Duro? und der Mercedes G abhängig vom Baujahr…
Grüße, Christian
Hallo Christian, der Duro hat kein ASR und mein Sprinter auch nicht (abgeschaltet bei Zentralsperre EIN, bzw. Reduktion).
Grüße Bernd