Letzte Überarbeitung 9.3.2023
Arctic Circle Trail – ganz schön einsam
Fernwanderwege gibt es viele, Gründe diesen oder jenen zu gehen noch viel mehr.
Der Zeitrahmen von gut zwei Wochen, das Erleben neuer Landschaften, die Flucht vor Hektik und Stress, das Besinnen auf das Wesentliche, die Einsamkeit, das Aufsichalleinegestelltsein, um nur einige zu nennen, bildeten den Rahmen unserer Wahl.
Der ACT verläuft etwa 100km nördlich des Polarkreises zwischen dem ehemaligen Militärflugplatz der USA und jetzigem zivilen Flugplatz, Kangerlussuaq mit ungefähr 700 Einwohnern und der westlich gelegenen Hafenstadt Sisimiut mit knapp 6.000 Einwohnern. Dazwischen liegen hunderte kleinerer und größerer Seen, Bäche, Flüsse, einige öffentliche Hütten. Ohne Versorgungsmöglichkeiten, sieht man vom Trinkwasser ab, verläuft der Weg über 174km teilweise sehr schwieriger, steiniger, matschiger Oberfläche, durch unzählige größere und kleinere Flüsse und über insgesamt 3600m Höhenmeter Auf- und Abstieg.
Kopenhagen, den 5.8.2013
Der Weg nach Grönland führt fast zwangsweise über das sehenswerte Kopenhagen. Meike hat uns ein einfaches Hotel gebucht, für die paar Stunden – und genau in so einem sind wir gelandet.
Es wurde eine sehr unruhige Nacht.
Zum Ausgleich haben wir die mehrfach geköpfte Meerjungfrau besichtigt. Wir sind am neuen Hafen entlang geschlendert und haben bei bestem Wetter im Tivolipark die Geschäfte, Achterbahnen und Ausstellungen und die Gegend um Kopenhagen bewundert.
Am nächsten Morgen weckerte es um 5 Uhr und für 8 € brachte uns die Bahn vom Hauptbahnhof zum Flughafen – der Hintransport per Taxi schlug noch mit fast 40€ zu Buche! Das Einchecken bei der Air Greenland verlief schnell und problemlos, unsere verhüllten Rucksäcke und Roll-Hand-Gepäckstücke wurden nicht beanstandet.
Kangerlussuaq Airport
Bereits kurz nach dem Start wurden Getränke gereicht und nach einem kurzen Blick auf das Tablett in der Nebenreihe stiegen die Sympathiewerte Grönlands enorm. Neben einem Fläschchen Rotwein standen dort noch 2 Dosen Carlsberg, als ich die Stewardess fragen hörte, ob er noch einen weiteren Getränkewunsch hätte….Nachdem wir ebenfalls üppig versorgt worden waren, wanderten unsere Gedanken auf dem Arctic Circle Trail entlang, wurden die Rucksäcke immer leichter, die Strecke kürzer und das Wetter sommerlicher.
Kangerlussuaq, 6.8.13 Gepäckboxen im Hotelfoyer
Nach ruhigem, sättigendem Flug und glatter Landung nahmen wir am frühen Vormittag unser Gepäck in Empfang. Die einzigen aufgegebenen Gepäckstücke waren unsere beiden Rucksäcke! Damit sind wir wohl die einzigen auf dem Weg gen Westen! Wir buchten noch ein verschließbares Fach an der Rezeption des Flughafen Hotels – für 5€/Tag – und räumten um.
Der letzte Supermarkt vor Sisimiut.
Neben den diversen Gepäckstücken ließen wir doch noch allerlei zurück. Einen (es gibt hier mehrere !) der kleinen Outdoor-Ausrüstungsläden am Flughafen haben wir noch besucht, nicht nur hier gibt es Gas-Ventilkartuschen, 450g für runde 10 € und andere Kleinigkeiten. Im nahen, sehr gut ausgestatteten Supermarkt besorgten wir uns 1,5 Liter Rense- (Reinigungs-) Benzin für den Kocher und los geht‘s! Aber nicht gleich.
Erst mussten wir noch die Rucksäcke wiegen: 23kg für meinen, 21kg für Meikes. Das überschritt die Daten unserer vorangegangenen Tabellenkalkulation in beängstigender Weise.
Die ersten 14km bis zur Nordlicht-Forschungsstation Kelly Ville stellen sich als staubige Wellblech-Schotterpiste dar, die ohne landschaftliche Höhepunkte nach Westen zieht und zieht und zieht. Diese wollten wir uns trotz des sonnigen aber kühlen Wetters gerne ersparen. Also suchten wir nach dem (einzigen?) Taxi – es sei gerade unpässlich, da in der Werkstatt. Der Shuttlebus? Ist bis morgen unterwegs! Und sonst? – Morgen!
Das Glück ist mit den Bequemen – gerade stieg ein älterer Herr aus einem noch viel älteren Pickup. Ich hatte das plötzliche Gefühl – er will uns fahren! Für 100 DKr, dem üblichen privaten Shuttle-Preis brachte er uns tatsächlich bis zu den alten Betonfundamenten, dem Ausgangspunkt des Arctic Circle Trails. Vielen Dank!
Nach einigen Minuten Suche hinter den alten Fundamenten erkannten wir einen schmalen, kaum sichtbaren Trampelpfad im Gestrüpp, der in Richtung See wies (alle Wege weisen hier irgendwann zu irgendeinem See). Hoffnungsvoll machten wir uns auf den Pfad und stellten nach einigen hundert Metern eine vertrauensbildende Übereinstimmung mit der Raster-Karte Kangerlussuaq auf unserem Garmin Oregon 600 fest. Die Trekkingstöcke erwiesen sich schon nach wenigen Schritten als unverzichtbar, war der schmale tiefgetretene Pfad zwischen den niedrigen Sträuchern in Verbindung mit dem ungewohnten Rucksackgewicht (Hinweis: Wir sind im Hauptleben Schreibtischtäter!) nicht einfach so „gehbar“.
Wohnkombi aus altem Wohnanhänger, viel Blech und Antennen
Von der eindrucksvollen Landschaft waren wir sofort begeistert, tiefblaue Seen, grüne Wiesen, bunte Sträucher, flache Gebirgszüge, strahlender Himmel und wärmer als befürchtet. An den nächsten See, Hundesö, haben wir das Wasser am Ufer getestet – köstliches frisches Trinkwasser – obwohl die drei ersten Seen in den Reiseführern als Salzseen aufgeführt werden.
Am Nachmittag sahen wir ein kleines, blaues Fischerboot am Ufer liegen und auf einer Anhöhe erblickten wir ein „Gehöft“. Um einen völlig farbfreien, komplett verrosteten Wohnwagen, waren mehrere ebenfalls verrostete Blechgebäude drapiert, nur ein knallroter Grill leuchtete aus dem vermutlich bewohnten Blechplattenbau. Die kleine Leica machte ständig „klick“ (könnte man abschalten, aber wo ist hier ein Handbuch?).
Wir haben immer streng darauf geachtet, dass es um unser Allak ordentlich aussieht.
Weiter ging’s und nach knapp 14 Kilometern schlugen wir auf einer leicht matschigen und sehr unebenen Grasboppelwiese unser Zelt auf. 24 Uhr nach Stuttgarter Zeit, 20 Uhr Ortszeit.
Ein bisschen müde und mühsam das Ganze, nichts war am Platz (weil eben noch nichts seinen Platz hatte), aber dann fand ich doch die 4 mitgeschmuggelten Flaschen Trekkingwein. Sie verdunsteten schneller als gedacht, es waren ja auch nur jeweils zwei Zehntele für Meike und mich.
Also noch schnell einen Liter Tee gekocht, die notwendige innere Abenderwärmung, denn mit sinkendem Sonnenstand wurden aus den gefühlten 20 Grad reale 6 bis 8 Grad und der erste Schlafsacktest lockte.
7.8.2013
Es folgte – logisch – der erste nächste Morgen. Der schwierigste. Alles scheint noch ein bisschen unkoordiniert, optimierungsfähig. Doch irgendwann kochte das Kaffee- bzw. Teewasser, Lebensgeister kehren zurück. Zusammenräumen, packen – eine gefühlte Ewigkeit ist vergangen bis zum Aufsatteln – gegen 10 Uhr. Zwei Rentiere lauerten vor uns und versperrten den Weg. Wir setzten voll auf Deeskalation und warteten bis es ihnen wohl langweilig geworden war. Sie umrundeten uns in gebührendem Abstand – und weg waren sie.
Ohne Rucksack sieht das ja elegant aus..
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Kaum hatten wir uns warmgelaufen, störte ein Fluss unseren Trott. Sumpf bis zum Ufer, ein paar Steine im kkk-Wasser (knietief, klar, kalt). Also Schuhe aus und Sandalen mit warmen, wasserdichten Weichei-Socken an, Erfahrungen mit einer Testüberquerung sammeln, dann das restliche Material nachholen. Alles blieb trocken nur meine Supersocken waren nicht nur außen nass. Für die nächsten Furten galt also, Sandalen und barfuß. Das kkk-Wasser spürten die Füße nach wenigen Sekunden sowieso nicht mehr. Zeitaufwand all in (für die allererste Überquerung), fast eine Stunde.
Mit Rucksack ist das eine glitschige bis klatschnasse Angelegenheit.
Am späten Nachmittag kam die Katiffik Hütte am Amitsorsuaq See in Sicht. Ein kleines, gepflegtes Holzhäuschen, Wände und Fenster isoliert, sauber gestrichen, mehrere Schlafplätze. Sauber und gepflegt bezieht sich immer auf die Hütte an sich! Die Hinterlassenschaften der Besucher kann man nicht der Hütte und deren Betreuern anlasten, die nur wenige Male im Jahr zu Wartungs- und Aufräumarbeiten vorbeikommen. Folglich ist immer ein bisschen Kehrwoche nötig.
Seit der Aufgabe des Kanu-Centers am westlichen Seeende stehen die verbliebenen Linder Alu-Kanadier der Allgemeinheit zur Verfügung und ersparen viele Stunden anstrengenden Weges. Offensichtlich sind unsere Vorwanderer alle in unserer Richtung unterwegs gewesen und haben die Boote am westlichen Seeende verlassen. Pech.
Drei Kilometer später fanden wir an einem ebenen Sandstrand ein perfektes Übernachtungsplätzchen für uns und unser Allak. Ausräumen, Zelt aufstellen, Isomatten aufblasen, Schlafsack entkomprimieren, Wasser kochen, Abendessen – das ging heute abend schon recht flott.
8.8.2013
Auch der morgendliche Start ins schöne Sonnenwetter gelang uns angemessen zügig – nachdem wir an Meikes Hose ein Pärchen störende Gürtelschlaufen abgesäbelt haben. Eine ausführliche Mittagspause auf einem Kernsprung-Felsen diente der Entspannung, die Sonne sorgte für die notwendige Präsentations-Bräune auf Arm und Gesicht. Jedenfalls auf der südlichen Körperhälfte.
Einige Kilometer später versperrten metergroße, quaderförmige Granitblöcke, die irgendwann einmal bis in den See gekullert waren, den schönen Uferweg. Ein Königreich für ein Boot (Es muss nicht immer Pferd sein!)
Sehr, sehr mühselig war das Erklimmen jedes einzelnen Blocks. Ein nicht gelungener Griff und schon wollte mich der Rucksack rückwärts nach unten ziehen, was der nach hinten geworfene Trekkingstock gerade noch verhindern konnte. Einige Meter höher erklärte sich Meikes Rucksack solidarisch und nur durch einen beherzten Griff in die Fauna, konnte sie einen Rücksturz verhindern, womit unser Tandemsprung ins Wasser ins Wasser fiel.
Leider blieb ihr rechts Knie ein bisschen hängen und war fortan nicht mehr zu einer freundschaftlichen Zusammenarbeit zu bewegen. Nach einer knappen halben Stunde hatten wir den Felssturz überwunden und ein ebenes Plätzchen gefunden.
Hier widmete ich mich mit maschinenbäuerlicher Akribie Meikes Knie und fertigte aus Tape und einem weißen Stückchen Stoff eine unterstützende Binde an. Bereits nach wenigen Schritten erreichte diese Konstruktion die Elastizität einer Drahtschlinge und zur Vermeidung einer nicht auszuschließenden Amputation, musste ich die Kniehilfe wieder entfernen. Auf eine Liquidation für meine Bemühungen habe ich dann aus kapitalethischen Gründen verzichtet.
Im geräumigen Kanucenter
Gegen 22 Uhr, nach über 17 Tageskilometern, bei stark zunehmendem Wind, erreichten wir das verlassene KanuCenter, eine komfortable und nach der Leerung der Toilette auch nahezu geruchsfreie Hütte mit 2 großen Schlafräumen, Tisch und Bänken. Ein moderner Petroleumofen mit Ölvorrat für die ganz kalten Nächte, eine Kochnische mit Spüle (Wasser aus dem See), saubere Matratzen sorgten nach einer Grundreinigung für eine angenehme Atmosphäre und zuverlässigen Schutz vor dem aufziehenden Sturm.
Solange das Abendessen „reift“, ist Meike bei der Arbeit.
Meike konnte mit iPad, Tastatur und Satellitentelefon über die Datenverbindung die Texte für ihre Blogartikel verfassen und sofort absenden. Ganz schön praktisch diese Technik.
Die Gästebücher boten uns vergnüglichen Lesestoff aber ganz besonders bedauerten wir das Paar, das den Schatten der Mückenschwärme als einzig Positives vermerkte.
Wir rissen noch zwei Tüten auf, kochendes Wasser dazu und nach 5 Minuten machten wir uns über das Travellunch her. Die Nudeln und Bohnen waren noch sehr „al dente“, aber weitere 3 oder 4 (vorschriftsmäßige) Minuten warten war einfach nicht mehr drin!
9.8.13
Am Morgen hatte sich das Wetter beruhigt, und die Sonne ließ sich bereits durch ein paar Wolkenlöcher blicken. Leider waren auch hier keine Boote zu finden, was Meikes Traum gewesen wäre… Inzwischen hat auch das andere Knie die angenehme Zusammenarbeit aufgekündigt und diese elektrischen Tabletten (500 mV-Dosis) wurden zu Meikes Ersatzdessert.
Nach knapp 3 Kilometern sahen wir weit unter uns am Seeufer etwas glänzen, was sich nach einem Blick durchs Fernglas (Wichtige Anmerkung: Dieses unverwüstliche und winzige Leica 8×20 begleitet uns seit den 80ern auf Reisen) als Kanu zeigte. Also nichts wie runter. 20 Minuten später saßen wir ein dem zwar verbeulten aber wasserdichten Kanu, das von freundlichen Vorbenutzern mit Panzerband abgedichtet worden war. Die aus alten verrotteten Brettern notdürftig ausgesägten Paddel hielten auch nur noch dank Tape zusammen, die gemeinsame Schwimmweste war mit 15cm großen Schaumwürfeln gefüllt – eher Kartoffelsack als Weste. Egal – ins Wasser.
Wir paddelten über den glasklaren See, kein Wind regte sich und die Landschaft zog langsam und ruhig an uns und unter uns vorbei. Nach nur 1,5km war‘s aus mit dem bequemen (und knieschonenden) Paddeln. Seeende und Bootslager. Wir zählten insgesamt 7 Boote, von denen allerdings die meisten aussahen, als hätte sie der Hubschrauber abgeworfen! 3 oder 4 von ihnen waren unbrauchbar bzw. nur nach gröberen mechanischen Eingriffen mit Blechstücken, Bohren und Nieten wieder abzudichten. 2, 3 Weitere könnten mit einer Rolle Panzerband „schiffbar“ gemacht werden. So hatten wir wohl eines der Besseren erwischt und uns immerhin drei Kilometer Rucksacktragen erspart.
Die Sonne versteckte sich jetzt mehr und mehr hinter den Wolken und der anfangs noch leichte wechselte zu einem sehr steifen Wind und wir spürten deutlichen Widerstand bei Gehen. Bei fast 10km Matschwiesenpfad etwas störend. Ein großer breiter Sandstrand lockte zum verfrühten Zeltaufbau nach nur 14 Tageskilometern. Es war noch nicht einmal 20 Uhr.
Aus dem steifen Wind wurde zwischenzeitlich ein stürmischer Wind und der Zeltaufbau forderte uns heraus. Die leicht windgeschützte Fläche vor einer Felswand entpuppte sich schnell als die Toilette der Vorangegangenen – also Abstand halten, stürmischen!
Wir sammelten erstmal 6 fußballgroße Steine für die Zeltgrundfläche, die wir 40cm im Sand verbuddelten, dann nochmal 6 für die Sturmleinen. Das Endergebnis verhieß für die Nacht nur Fürchterliches, sodass wir nochmal 12 große Steine schleppen mussten, die wir auf die Verbuddelten legten. An diesem Abend hätte ich lieber die Original Alu-Gestänge dabei gehabt- statt der extrem leichten, völlig erfahrungsfreien Carbon-Röhrchen. Auch traute ich dem dünnen Zeltstoff nicht, die in der luvseitigen Apsis liegenden Rucksäcke formten hier die Zeltaußenseite.
Vielleicht unser schönstes Plätzchen – aber auch mit Abstand das dreckigste.
Aber sei‘s drum, kaum waren zwei Stunden vorbei, stand unser Allak und wir konnten uns ans Abendessen mit heißem Tee machen. So sauber waren uns Essenstüten innen noch nie! Gegen 3 Uhr morgens ließ der Sturm nach und wir konnten entspannt weiter schlafen.
10.8.13
Der Morgen erfreute uns mit Windstille, der klare See lockte zur ausführlichen Morgenwäsche (wobei locken angesichts des eiskalten Wassers nicht wirklich passend ist), die Gelegenheit für Solarladen wurde genutzt und etwas später als gewohnt kamen wir in die Gänge.
Die Hütte Ikkatooq
Nach über 10 Kilometern anstrengenden Marsches in praller Sonne (Eincremen mit LF50!) durch Felsen, Büsche, Bäche und Matschwiesen standen wir 4 Stunden später vor der Ikkatooq-Hütte. Sehr schön gelegen, sauber (die Hütte!) und ebenfalls mit Schlafplätzen, Kochnische und Ölofen ausgestattet.
Ein Schneehase hoppelte von dannen, große Eile war ihm jedoch fremd, ein Vorteil beim Fotografieren.
Inzwischen bin ich zum Gaskocherhasser mutiert, hinterlassen die entsprechenden Nutzer doch ihre leeren Kartuschen nicht nur in den Hütten sondern auch in der Landschaft. 100€ Pfand sollten sie kosten!
Das erstemal begegneten uns „Menschen“. Zwei Engländer, standesgemäß in Craghopper gekleidet, kamen uns entgegen.
Wir mühten uns noch ein paar Kilometer bergauf, bergab und fanden ein feines, ebenes Plätzchen zwischen Sträuchern und Steinen an einem kleinen, klaren See.
Zeit zur Entspannung, Füße hochlegen, Essen und Teetrinken. Schlafsack.
Wir fühlten uns schon beim Zeltaufbau beobachtet und entdeckten schließlich ein Rentier, das kaum 50m von uns entfernt äugte! Kopf und Geweih in unserer Richtung. Minutenlang. Vermutlich hatte es konsterniert beobachten müssen, wie wir uns an seiner Trinkschüssel gewaschen haben. Schließlich trottete es davon, zum nächsten See.
11.8.13
Wir kamen erstaunlich früh los, Solarmodul ausklappen, Akku anschließen, Zelt abbauen, Schlafsäcke, Isomatten usw. komprimieren und verstauen – es ging richtig flott. Zwei Stunden später standen wir wiedermal an einem Bächlein, 8m breit, Oles Lakseely.
Aber mit unserer Furtroutine kein Problem. Unglaublich elegant hüpften wir von Stein zu Stein, fast trockenen Schuhs.
Nach etwa 6km war linkerhand die Brücke zu sehen, eine recht neue Metallkonstruktion, die nur bei sehr hohem Wasserstand genutzt wird, ansonsten fast einen Kilometer südlich des Pfades liegt.
Gegen halb fünf erreichten wir die Eqalugaarniarfik Hütte auf einer kleinen Anhöhe weit weg vom Wasser aber mit herrlichem Ausblick über das Tal. Da wir ohnehin zur nächsten Furt unterwegs waren, spielte „kein Wasser“ auch keine Rolle. Dachten wir. Furt und Flussbett waren auch bergauf pulvertrocken – und das vor einem langen steilen Anstieg!
Unser Wasservorrat war bereits nach gut hundert Höhenmetern Aufstieg erschöpft. Wir auch. Ein leises Plätschern war Musik in meinen Ohren, ein Rinnsal schlängelte sich durch die Wiese. Mit ein paar Steinen haben wir ein Staudämmchen gebaut, ein Staubecken „ausgehoben“ und nachdem sich der aufgewühlte Dreck abgesetzt hatte, gabs genug Wasser für eine (meine) Trinkflasche. Micropur und Steripen sorgten für die notwendige Wasserqualität. Meike verzichtete großzügig auf das Wasser!
Der Aufstieg verlief recht stressig auf einem breiten Wirtschaftsweg, der wohl auch von Schneescootern oder ATVs benutzt wird, bis wir uns nach einer sehr reizvollen Strecke am Ufer eines Sees bequem einrichten durften. Heute haben wir gut 15km geschafft. Die 15km uns aber auch.
Auf einer kleinen Wiese an einem namenlosen See bauten wir unser Zelt zwischen Wollgras und Sträuchern auf.
12.8.13
Die Teebeutel! Sie lagen vor dem Zelt und waren über Nacht zu Eisklötzen gefroren! Zwischen -3 und -5°C lagen die Tiefsttemperaturen!
Lager auf- und abbauen, Solarpanel und Akku wegräumen sind Routine geworden und nicht mehr der Aufregung wert. So kamen wir zeitig los und machten uns auf den Weg.
Gut zu gehen, von See zu See, von Wiese zu Wiese, von Matsch zu Matsch, von Bach zu Bach. Traumhaft!
Gestern hatten wir uns einige Mückenstiche eingefangen – was machten sie? Jucken. Und wir? Kratzen!
Die Sonne gab ihr Bestes, unsere linke Seite wandelte sich mehr und mehr in unsere Schokoladenseite. An einem größeren See mit feinem Sandstrand – man gönnt sich ja sonst nichts – machten wir nach knapp 9 km unser Mittagspäuslein und erreichten nach 8 Stunden das Dorf Innajouatotoq.
Die Hütte Innajouatotoq 1
Nun mag der Ausdruck Dorf vielleicht übertrieben klingen, aber es gab dort immerhin eine Ansammlung von Hütten. Genauer gesagt von zwei Hütten. Eine, die ältere, lag abseits des Sees auf einer Anhöhe und wird in der allgemeinen Reiseliteratur generell als die „Hütte mit 1 Fenster“ beschrieben. Die Hütte ist wie alle Hütten sauber, hat aber unübersehbar 2 Fenster. Da der Trekkingwein schon lange getrunken war, kam Doppelsehen auch nicht in Frage. Aber das ist nicht das einzige Kuriosum in Beschreibungen.
Auch die Koordinaten der Hütten die innen oder außen angeschlagen sind, lassen Zweifel aufkommen. Abweichungen von einigen hundert Metern haben wir feststellen müssen. Den Grund erfuhren wir viel später: Die Hütten und Standorte werden am Schreibtisch geplant, die Schilder angefertigt. Irgendwann später setzt der Hubschrauber die fertigen Häuschen ab. In der Nähe!
Von der Hütte Innajouatotoq 1 hat man einen schönen Überblick über den See und die Berge, unten am Ufer sieht man die neue größere Hütte Innajouatotoq 2, die unser nächstes Übernachtungsparadies werden sollte. Nach der üblichen Kehrwoche!
Das Solarpaneel konnten wir hier sehr einfach an der Hütte aufhängen und hatten so noch 2 Stunden Ladezeit für unsere Akkus.
13.8.13
Heute war unser Weltrekord im Frühstarten! 8 Uhr morgens – und das im Urlaub! Und nach nur 100m die erste Flußdurchquerung. Harmlos. Nebelschwaden lagen über den Seen und über dem Fluss. Es war kühl heute, kaum mehr als 7 Grad.
Ein kleiner Bach lud zur Mittagspause ein. Da überall so viele kleine trockene Holzstückchen lagen, ließen wir ausnahmsweise unseren Omnifuel kalt und entzündeten ein kleines Feuerchen auf einer Felsplatte zwischen Steinen. Die nach minutenlangen Anzündversuchen aufsteigende massive Rauchsäule, zeugte von erheblicher Feuchtigkeit im Holz – nach mehreren Wochen niederschlagsfreiem Wetter! Dafür hatte unser Topf Niederschlag an der Unterseite. Schwarz, breit, stark. Unentfernbar!
Heute waren wir über 10 Stunden auf den Beinen (Meike auf den Knien) und entschieden uns für die näherkommende (wir kamen näher, nicht die Hütte) Nerumaq Hütte. Wie immer eine saubere Hütte mit Müllablagerungen, vor allem wieder leere Gaskartuschen, Flaschen… Diese Artikelschreiberei kostet Energie, das Solarpaneel musste an die Wand. Leider steht die Hütte zwischen 2 Bergketten, sodass sie abends sehr früh im Schatten (sehr kalt) liegt und morgens wieder im anderen Schatten (noch kälter) liegt. Schlecht für Solar!
14.8.13
Auch unsere Bereitschaft, dem Wettergott zwei Bier in Sisimiut zu opfern, konnte ihn nicht umstimmen, das Wetter wurde schlechter, Sonne nur noch sporadisch, dunkelgraue Wolken, kalt und windig.
Nach über 17 Tageskilometern tauchte die letzte Hütte auf. Sie liegt ca. 120m oberhalb des großen Fjords und ca. 2km ostnordost der Kangerluarsuk Tulleq genannten Hütte am Seeufer und erspart uns damit die ersten einhundert Höhenmeter des letzten großen Anstiegs am nächsten Morgen. Dafür mussten wir unseren Wasservorrat einige hundert Meter vorher auffüllen (perfekt in einem Ortlieb Ventil-Packsack) und mit dem Rucksack zur Hütte transportieren.
Die Kangerluarsuq Tulleq Hütte mit ca. 8qm Grundfläche liegt wassermässig benachteiligt, es muss alles von „unten“ hochgetragen werden. Ein großes Brett in 80cm Höhe stellte 2 bis 3 Schlafplätze dar, die Fläche auf dem Boden darunter nochmal 2-3 Schlafplätze. Es wurde ungemütlich kalt, wir froren trotz gefütterter Jacken, als noch zwei dänische Wanderer zur Übernachtung antraten. Jetzt wurde es eng aber nicht wärmer, da ihr Spiritus Kocher keine nennenswerte Heizleistung brachte.
Aber einen super Schlafsack hatten sie dabei, einen Deuter mit kaum 550g Masse, Komfortbereich bis -11°C. Leider war es die Extremtemperatur, der Komfortbereich war mit +12°C angegeben. So wurde es für die Trekkingkollegen trotz aller Socken, Jacken und Hemden eine lange, lange Nacht.
Kalt war die Nacht – der Omnifuel schaffte ein paar Plusgrade nur mit Mühe – und Zeit.
Unsere Trinkwasser haben wir aus den Flüssen und Seen entnommen und ungefiltert und nicht entkeimt getrunken.
Problem- und folgenlos.
Das Foto demonstriert nur die praktische UV-Entkeimung mit dem Katadyn-Steripen – erforderlich für die südlichen Länder und Tropen.
Der nächste Tag wurde auch unser Rekord im Flussdurchqueren. Eine Durchquerung nach der anderen, alles nur noch Routine. Wackelige Steine, trockene Steine, nasse Steine, rutschige Steine, Steine unter Wasser – uns konnte nichts mehr schrecken.
Bis auf eine bis dato unbekannte Steinsorte die „saumäßig rutschige“ Variante. Nach 7 Meter Fluss, noch weitere 7m vor mir, lernte ich diese kennen. Fuß weg, Trekkingstock weg, Fels im Gesicht. Fehlte nur noch der lachende Rucksack, der blieb nämlich trocken. Nach weiteren erfolgreicheren Querungen machten wir erstmal Mittag. Relaxen.
Vier Stunden anstrengender Marsch durch Morgennebel und Kälte, durch bunte Blumenwiesen und Bäche, jetzt kam der Hunger auf. Etwas früher als sonst machte wir uns direkt neben dem Weg heißes Wasser für unsere Trekkingmahlzeiten und den Tee und hofften auf mehr Sonne.
Die Kriechweiden wurden mehr als mannshoch (was bei mir keine große Bedeutung hat) und dichter. Die fast armdicken Wurzeln spannen sich quer über den ausgetretenen und fast unsichtbaren Pfad. Die Äste müssen einzeln zur Seite gedrückt werden. Warum habe ich die nur Motorsäge nicht mitgenommen?
15.8.13
Ein skeptischer Blick zum wolkenverhangenen Himmel, wir räumten zusammen und ließen das Tagesziel erstmal offen.
Eine letzte Nacht im Zelt mit Blick auf Sisimiut oder Durchlaufen, das machten wir vom weiteren Verlauf des Wetters abhängig. Die Hütte lag wohl erfreuliche 120m hoch, der Weg führt aber genau diese 120m nach unten, um dann wieder über 450 Höhenmeter anzusteigen. Also doch nichts gespart. Anstrengend aber wunderschön ging der Trail durch die zunehmend gebirgige Landschaft. Der Gegenwind nahm kontinuierlich zu, manchmal konnte man sich direkt gegenlehnen. Nach 3 Stunden Aufstieg leuchtete eine unbekannte kleine Hütte zwischen den Felsen hervor, die sich als ein neueres Klohäuschen mit Entsorgungsmöglichkeit entpuppte. Sauber wie immer, aber…
In der Nähe viele ebene Plätze, die sich zum Zelten anbieten. Glasscherben zeugen von vergangenen Festivitäten, hier kehren die Sisimiuter im Winter ein!
Nach weiteren Kilometern sieht man südlich des Weges eine große gelbe Hütte auftauchen, das ist das verlassene – wohl aber offene – Haus des Sisimiuter Schneescooter-Vereins. Die angegebenen Koordinaten der Hütte sind um Kilometer falsch!
Wenig später sahen wir einen blauen Container (in manchen Reiseberichten liegt er an ganz anderen Seen) am Seeufer liegen, der Material für die winterlichen Scooterrennen enthalten soll.
Das Wetter wurde ungemütlicher, die Wolken hingen tiefer und wurden schwärzer, der Wind wandelte sich zum Sturm. Unsere Entscheidung lautete „Durchmarsch“.
Bis wir allerdings im Ort ankamen, vergingen noch zähe Kilometer! Am späten Abend erreichten wir erst das Sisimiut Hotel – das Doppelzimmer für 213€/Nacht – und etwas später nach insgesamt 20 Kilometern das Vandrehjem.
Dusche. Bett. Nach 160km durchaus verdient.
Es dauerte nur noch stundenlang, dann konnten wir die ersten Dächer von Sisimiut entdecken,
16.8.13
Ein einsamer Wanderer begehrt Einlass. Er ist am letzten Tag nicht durchgelaufen, sondern hat noch einmal übernachtet.
An den Schneesturm wird er sich erst später gerne erinnern!
Bis zum Rückflug nach Kangerlussuaq haben wir noch ein paar Tage und gehen einkaufen. In strömendem Regen und bei knapp über Null Grad. Wir bekommen kein Bier im Supermarkt, nicht weil wir so jugendlich aussehen, sondern wegen der offiziellen Alkohol-Verkaufszeiten: Mo-Fr 9.00 bis 18.00, Sa von 9.00 bis 13.00 und So? Null!
Also ab ins Pub! Dort sitzen bereits die Herren Thomas und Daniel, das Glas fest in der Hand. Happy Hour! Das kleine Bierchen nur 35 DKr (5€). Die Preise in Grönland sind zwar von der Mehrwertsteuer (25%) befreit, aber der Transport zehrt diesen Vorteil bei weitem auf, es kostet alles deutlich mehr als in Dänemark, außer Benzin und Diesel. Das ist aber für touristische Zwecke zwecklos, da Sisimiut eine Verkehrsinsel ist, die keinerlei Straßenverbindungen außerhalb des Stadtgebiets hat. Dafür gibt es auf den wenigen Kilometern Straßen Buslinien, Taxis und jede Menge Autos.
19.8.13
Unser Taxifahrer kurvte uns mühselig und angestrengt am Sonntag früh (seine Fahrpraxis ging mangels mehr Straßen gegen Null) zum Flughafen, die Air Grönland brachte uns mit einer kleinen Propellermaschine zurück nach Kangerlussuaq.
Rückblick auf Sisimiut, Bis bald mal wieder.
Kangerlussuaq Start- und Landebahn, sowie der komplette Ort.
Für den Nachmittag hatten wir eine Bustour zum Inlandeis gebucht. Von der zu Hause mal geplanten Wanderung bzw. Mountain Bike Tour haben wir abgesehen. Eine Strecke 42km Schotterpiste! Ein kurzer Spaziergang bei sonnig-trübem Wetter – eine perfekte Schneelandschaft glättete die unendlichen Eisflächen – auf dem Inlandeis war ein beeindruckendes Erlebnis!
Der perfekte Abschluss einer für uns einmalig schönen Tour.
Blick auf die Polarlicht-Forschungsstation Kellyville
Hier hatten wir im Flughafenhotel ein Zimmer (210€/Nacht) reserviert, würden aber inzwischen das deutlich preiswertere Vandrehjem wählen, das südlich des Flughafens, ca. 2km entfernt liegt.
Rauschbeeren, eine Art der Blaubeere. Rausch kommt vom Wort „Busch“.
Ein Blick über das Inlandeis, östlich Kangerlussuaq
20.8.13
Morgens gaben wir unser Gepäck auf und Abflug mit dem einzigen Airbus (A330) der Air Grönland. Nach rund 4 Stunden angenehmen Fluges mit üppiger Getränkeauswahl, erreichten wir wieder Kopenhagen. In einem anderen Hotel. Cabinn hieß es und genau so groß waren auch die Zimmer. Am nächsten Morgen gings mit dem Taxi zum Flughafen und mit der SAS (der Abgewöhn-Airline) nach Stuttgart.
Aus und Schluss.
Anmerkung: Die aktuelle Neuauflage des kleinen Reiseführers vom Stein-Verlag „Arctic Circle Trail“ wurde von Meike im Anschluss an diese Tour überarbeitet. Er enthält auch unsere aktuellen Positionsdaten, Entfernungen und Beschreibungen, Bilder, dazu einen Link zum Download des GPS-Tracks und der Wegpunkte.
Wie gut oder schlecht war die Wahl unserer Ausrüstung? Antworten findet ihr hier: https://berndwoick.de/trekking-in-groenland-ausrustung-und-bewertung/
Möchtet ihr mehr über den Arctic Circle Trail wissen und genaue Beschreibung der Etappen, empfehle ich euch mein Buch aus dem Stein-Verlag:
Unter diesem Link kommt man zur Website des Conrad Stein-Verlags und kann dort den GPS-Track als .gpx-Datei herunterladen oder das Buch kaufen:
https://www.conrad-stein-verlag.de/buecher-shop/groenland-arctic-circle-trail/
…oder über Amazon:
https://www.amazon.de/Grönland-Artic-Circle-Trail-Ziel/dp/3866861370/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=ÅMÅŽÕÑ&dchild=1&keywords=Arctic+circle+trail+woick&qid=1616166307&sr=8-1
Viel Spaß beim Träumen,
Meike Woick und Bernd Woick