Dezember 1981
Heidrun und ich sind in Nigeria. Nigeria ist wohl das Schlimmste, was unseren Eltern, die immer Zeitung lesen…, passiert sein konnte. Katastrophale Verkehrsunfälle, Diebstahl, Raub, Überfälle, Mord und Totschlag.
Und wir alleine mittendrin, wie immer unbelehrbar, schlimmer noch, wir fühlten uns sauwohl.
Wenn nur die ständigen Strassensperren nicht wären. Kaum in Schwung, stehen quer über die Strasse alte Ölfässer und Polizei bzw. Militär drumherum.
Fahrzeug und Passkontrolle. Stereotype Fragen: „Whats’s your Mission?“ und „Where are you coming from?“ und „Where do you want to go?“.
Die Beantwortung dieser Fragen stellte sich als fortwährendes Problem heraus. Da wir ja auf Reisen waren, hatten wir keine (business-) mission und damit auch keine business-papers zum Zeigen. Das war im Weltbild der Militärs verdächtig, denn ohne mission – so etwas gab es nicht.
Wir versuchten es mit travel, holiday, vacations, visiting the lovely country – nichts ausser endlose Diskussionen, bis sie das Unverständliche doch akzeptierten.
Die Beantwortung der Fragen nach dem woher und wohin gestaltete sich ähnlich kompliziert. Hatten wir Anfangs noch aus der Karte die Orte vor und nach der Strassensperre angegeben – die ihnen nie bekannt vorkamen, erweiterten wir den Kreis ständig und blieben dann bei „von Deutschland nach Kamerun“. Das ging so eben durch.
Jetzt wird der Pass durchgeblättert, bis zum Foto. Dann wird er unbemerkt umgedreht, „gelesen“ und mit einem Nicken zurückgegeben.
Wenn das jeden Tag viele Male vorkommt, macht man sich so seine Gedanken. Die Versuchung laut los zu prusten, ist kaum beherrschbar. Wir waren gut erzogen und hielten uns zurück. Gelacht werden durfte erst bei geschlossenen Fenstern, 100m nach der Kontrolle.
Nach rund einer Woche, die gefühlt 50. Strassensperre. Das nervt!!
Die Prozedur wie immer, Fragen wie immer, Pass aufklappen und nach dem verständnisfreien Durchblättern bis zum Foto, Pass umdrehen und Rückgabe mit einem freundlichen Nicken.
Diesmal mit einem noch freundlicherem und in akzentfreiem Hochdeutsch gesprochenen „Herzlich willkommen in unserem schönen Nigeria“.
Wir waren echt baff!
Dann erzählte er uns von 6 Jahren in Bonn als Botschaftsangehöriger und fragte, warum wir aus dem herrlichen Deutschland hierher kommen würden…
Da waren wir doch etwas sprachlos.
Fahrzeug
Sturm und Drang
Ja, was glaubt ihr denn, hier lesen zu können???
Geschichten über die Enge in einem hellblauen Goggo, die unbeweglichen Rückenlehnen in einem lachsfarbenen DKW Junior?
Oder über regelmässige frühmorgendliche Autorennen um Schwaigern – Heckflosse gegen Kadett A Coupè, 12M, Junior und F12?
Oder über nächtliche Begegnungen auf dem Friedhof?
Oder über Motorradslalom um die (vorher…) gepflegten Heuschober?
Oder über maximale Schräglage mit der geliehenen Honda CB450 auf der letzten linken Rille der langgezogenen Rechtskurve, die die Honda nur dank geistesgegenwärtigen Ausweichens eines entgegenkommenden LKW-Fahrers überlebt hat?
Oder….?
Nein, diese Geschichten bleiben im Verborgenen – es sei denn, ich entscheide mich post mortem für die Veröffentlichung.
Landrover Geschichten
Ein Landrover ist nie ganz ganz und nie ganz kaputt!
Traum-Schrott
Sommer 1976.
„How deep is your love“ schmalzten die Bee Gees aus dem Lautsprecher. Prüfungszeit. Viereinhalb Stunden Messtechnik-Klausur. Gerade noch rechtzeitig bin ich in Schwaigern losgefahren.
Kaum einen Kilometer nach dem Ortsausgang lag ein Auto im Strassengraben, die Räder nach oben. Je näher ich kam, um so ähnlicher wurde der Blechhaufen meinem Traumauto. Damals. Ein Landrover.
Noch näher sah das nach einem Totalschaden aus. Knapp 100m im Graben, dann bis zur Feldweg-Einmündung, mehrfacher Überschlag.
Da lag er nun als Cabrio. Plane und Spriegel verstreut auf dem Acker.
Es war nicht zu erkennen, wann das hätte passiert gewesen sein können, folglich musste ich unverzüglich anhalten und nachsehen.
An der Scheibe hing ein Zettel mit Telefonnummer und Namen. Karle.
Man muss Prioritäten setzen!
Da das Handy 1976 noch nicht einmal angedacht war, blieb nur die Telefonzelle oder das Telefon bei den Eltern. Ohne Bargeld (Dauerzustand) also das Elterntelefon.
Herr Karle war sehr freundlich und überaus glücklich, dass er das Auto seines Sohnes (lag stationär) los war. 400DM. Gemacht!
Irgendwie wollte ich doch noch an der Klausur teilnehmen.
Restzeit zweieinhalb Stunden. Hat gereicht. Locker.
…und hier geht es mit dem Landy weiter:
https://berndwoick.de/landrover-88-series-ii/
Was hatte ich mit RAF zu tun?
Natürlich nichts. Aber…
Es war Montag, der 25. Juli 1977. Die Fährtickets nach Tunis waren da, bei einem nicht näher zu benennenden Discounter hatte ich die Vorräte für die nächsten Monate eingekauft. Vorzugsweise Konserven und hier wieder vorzugsweise Fisch in Dosen (nie wieder…). Jetzt musste ich nur noch Heidrun vom Geographischen Institut abholen und ab geht’s nach Genua.
Ca. einen Kilometer vor dem Institut kam ich aus der Unterführung und bemerkte vor mir Polizei. Nichts besonderes. Im Rückspiegel sah ich auch Polizei. Einige wollten wohl vorbeifahren. Auch okay. Schlagartig war ich von vielleicht 15 oder 20 Polizeifahrzeugen „umzingelt“, die mich in ihrer konzertierten Aktion auf eine Verkehrsinsel drängten.
Endlich durfte der Landy mal offiziell über Bordsteine klettern. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, es wird Platz für irgend einen wichtigen Menschen gebraucht.
Der Gedanke verflüchtigte sich, als sich auf beiden Seiten Polizisten in Kampfanzügen und Schnellfeuergewehren neben mir aufbauten und mich nicht sonderlich freundlich aus dem Auto baten.
Aber sollte ich jetzt Streit anfangen?
Sekunden später stand ich mit den Händen am Dach und gespreizten Beinen am Landrover und wartete. Fragen war sinnlos, niemand antwortete.
Inzwischen hatten das natürlich die Passanten, meist Studenten, die uns kannten, mitbekommen und eilten ins Institut, um Heidrun brühwarm zu erzählen: „Die haben gerade deinen Typ festgenommen“.
Nachdem das Auto von aussen, besonderes von unten, länger in Augenschein genommen worden war, erbarmte sich ein Bewaffneter, hielt mir seine Waffe an den Bauch und fragte „woher, warum, wohin usw.“ Soweit ich das beurteilen konnte, schien er danach leidlich beruhigt.
Bis ich die Hecktür und die Schränke öffnen durfte. Alles voll mit Langzeitkonserven. Ganz sicher für die konspirative Wohnung der RAF am Riedenberger Hang. Davon waren sie jetzt genauso überzeugt wie von meinen unglaubwürdigen Reisemärchengeschichten.
Spätestens jetzt ging mir der Humor aus. Die Fährtickets in der Ablage! Meine Rettung!
Nach deren Studium lockerte sich die Stimmung erst ein wenig und nach einigen Funksprüchen wurde ich ohne weitere Erklärungen „auf freien Fuss“ gesetzt.
Nach über einer Stunde traf ich im Institut ein. Grosses Hallo und eine glückliche Heidrun.
Und jetzt nichts wie weg…..
Ich kann den Himmel sehen
Wellblech
Es gehört zu den aufregendsten Strassenoberflächen, die es gibt. Weltweit.
Wellblech zerstört nicht nur Federn oder Stossdämpfer, es schädigt Gebisse, Wirbelsäulen und Ohren, verlangsamt die Denkleistung und ist für jede Überraschung gut.
Wellblech hat eine Wellenlänge von ca. 1 bis 1,5m und eine Amplitude von bis zu 30cm. Abhängig von den Achslasten, die hier verkehren.
Wellblech befährt man schonend mit 10 bis 20km/h und rollt dabei die Oberfläche sauber ab. Das hält kein gewöhnlicher Mensch mental länger als eine halbe Stunde aus.
Wellblech kann man auch mit 70 bis 80km/h befahren. Dann berühren die Räder die Piste nur kurz an den obersten Kuppen der Sinuskurve und es entsteht ein gleichmässiges Brummen und Vibrieren im Fahrzeug. Dass die Dämpfer gerade so vor sich hin köcheln, merkt man ja nicht. Der Bremsweg verlängert sich um ein Vielfaches und abrupte Lenkbewegungen sollte man tunlichst unterlassen.
Nach jeweils einer halben Stunde 10 – 20km/h wagten wir uns an die 70 km/h. Wir konnten nicht anders. Nur waren die 62 Nenn-PS unseres 4×4 nicht fähig, ihn auf über 40km/h zu beschleunigen. Und 40km/h war die absolute Oberhölle. Also wieder 20km/h, dann mal rechts oder links neben der Piste.
Wir waren schon ein paar Tage unterwegs, plötzlich schreit Heidrun: „Ich kann den Himmel sehn“. Schreit Heidrun? Ja, andere Kommunikation war unmöglich. Himmel sehn? Der war ja wohl immer zu sehn.
Aber zwischen Windschutzscheibe und Türrahmen gab es bisher keinen Himmel. Aus den Augenwinkeln musste ich beobachten, wie der Spalt lebte. Grösser und kleiner – je nach Bodenwelle.
Das erforderte unverzügliches Handeln. Da der Rahmen vorne rechts unter dringendem Tatverdacht stand, fühlte ich ihn mit der Hand ab. Plötzlich verschwand dieselbe von unten vollständig im Rahmen. Das Kastenprofil war dank Wellblech und Rost zu einem unten offenen U-Profil geworden.
Sollte man besser schweissen. Unverzüglich.
Wir näherten uns vorsichtig dem Hoggar-Gebirge und fanden bei In Ekker einen Mechaniker mit Schweissgenerator. Angetrieben von einem ohrenbetäubenden Hirth 2-Takter ohne Auspuff. 200DM wollte er – 400DM hat der Landrover gekostet – weil die Elektroden schon knapp 200DM kosten würden. Das Schweissen würde er ja fast umsonst machen…
Nach einer halben Stunde Diskussion holte ich ein Päckchen Elektroden aus dem Auto. Nach einer weiteren halben Stunde Diskussion begann er mit der Arbeit, freute sich über 20 zusätzliche Elektroden und 20DM.
Alle waren glücklich.
Landrover 88 Series II
Die kurze Vorgeschichte dieses Edel-4×4 findet ihr hier, Episode #10
https://www.berndwoick.de/landrover-geschichten/
Schwaigern im Juli 1976
Unser Traumauto war bei Licht betrachtet doch in eher alptraumhaftem Zustand. Fand Heidrun.
Der Rahmen war um 15° verdreht und die Spritzwand verzogen – immer abgesehen von den weiteren Knautschstellen. An die Arbeit.
Anka und der Gabelstapler – unsere Hilfsmittel der ersten Tage.
Quer über die vorderen und hinteren Stossfänger wurden zwei 6m lange T-Träger geklemmt. Der eine kragte 4,5m nach rechts und der andere 4,5m nach links aus. Mit 2 Gabelstaplern (aus dem Sperrholz- und Parkettwerk meines dieses noch nichtwissenden künftigen Schwiegervaters) haben Heidrun und ich den Rahmen soweit überdreht, dass er bei Entlastung exakt!! ausgerichtet war.
Auch die Spritzwand oder auch A-Säule war ohne massive Gewalt nicht zu bändigen. Heidrun hielt den Holzbalken und die Staplergabel machte Druck. Dann ein kurzer Schlag mit dem Hämmerchen, nachmessen und nächster Versuch. Bis sich der vom Regen glitschige Balken drehte und Heidruns Daumen fixierte.
Die weiteren Arbeiten haben wir dann verschoben.
Nachdem die ersten Kleinigkeiten gerichtet waren, wurde das Gerippe für den künftigen Aufbau geschweisst, einige Rahmenrisse verschlossen und dieser oder jener Quadratmeter Blech drüber geschweisst.
Der nächste Schritt, die Beplankung mit 3mm Alublech war schwieriger als gedacht. Das Alublech diente über Jahrzehnte als Zwischenlage in einer Sperrholzpresse und war hart wie Federstahl. Hunderte von Blindniete konnten das Blech schließlich bändigen.
Eigentlich sah der Landy schon ganz brauchbar aus. Noch ein bisschen Federn richten, Radlager und Simmerringe, Bremsen, Lenkung.
Fehlt noch der Motor.
Der Blick in die Zylinder liess mein Herz höher schlagen – das Kolbenspiel betrug bis zu 1,3mm. Der oberste Kolbenring hatte dazu einen Grat aus der Zylinderwand gehämmert. Aus monetären Gründen kamen die naheliegenden Instandsetzungen nicht in Frage. Gegen das Kolbenspiel halfen „Goetze“-Ringe mit innenliegender Wellfeder zur Erhöhung des Anpressdrucks und den Grat hatte ich gefühlvoll mit dem Schleifer entfernt.
Ventile einschleifen und neue Ventilführungen von Emanuel Ebner –
FWD GmbH in Waake – lagen noch im bezahlbaren Rahmen. Unsere persönliche Beziehung vertiefte sich über die Jahrzehnte mit jedem neuen Landrover und mit jedem späteren Woick-Katalog.
Aber die Kurbelwelle – alle Lager ausgelaufen. Was tun? Die Lagerschalen wurden mit 0,1mm und 0,05mm Stahlband unterlegt, grössere Kavitationslöcher mit Zinn zugelötet…
Dieser Erste-Hilfe-Edel-Murks musste halten. Bitte, bitte.
Dafür hatte der Motor auch an allen Teilen neue Dichtungen bekommen. Minutiös gehämmert aus Dichtungspapier.
Der Aufbau wurde innen isoliert und mit dünnem Sperrholz verkleidet. Rechts und links war ein Schrank mit pistenfest verschliessbaren Klappen eingebaut. Eine Klappe geöffnet bildete den Schreibtisch, beide Klappen geöffnet das Bett. 92cm breit.
Eine weitere Klappe trennte Fahrerhaus und „Wohnraum“. Nach vorne bis auf Lenkrad und Armaturenbrett geklappt, war das der Kopf- und Schulterbereich unserer Schlafstatt. Aus Platzgründen musste die Matratzendicke auf 5cm begrenzt werden. Gardinen und Matratzenbezüge nähte Heidrun.
Die Parkettversiegelung machte die Holzeinbauten „tropenfest“.
Der Phoebus 625 war Kocher und Heizung zugleich – in der Sahara im Sommer sehr hilfreich.
Den gewünschten Benzinvorrat führten wir in Form aufpralldämpfender Benzinkanister, zweier Tanks unter den Sitzen und später noch zwei weiteren Tanks unter den vorderen Kotflügeln mit. Ein rollender Molotowcocktail-Cocktail mit rund 300 Litern Benzin an Bord.
Die Bereifung bestand aus gut gebrauchten US-Militärreifen, die wir wie auch die Sandbleche und Kanister, bei dem US-Army-Surplus-Händler Dr. Fink in Böblingen günstig bekommen hatten.
Jetzt könnte es problemlos losgehen – wenn uns da nicht die Baader-Meinhofs noch ein paar Nerven gekostet hätten….Episode #15
https://berndwoick.de/landrover-geschichten/
Ein Pressebericht über die zweite Reise mit dem LR 88 gibts hier:
https://berndwoick.de/einige-presseberichte-vergangener-jahre/
Zu meinem Lieblings Landrover-Händler, der oft auch das Unmögliche möglich gemacht hat, kommt ihr mit diesem Link:
https://fwd-ebner.de
Episoden
Kurze, meist prägende
Begebenheiten aus Leben und Reisen, locker und in ziemlich sinnfreier Reihenfolge hinzugefügt.
===> Jetzt nur noch im Menü auf „Episoden“ klicken und auswählen.
Berlin-Barcelona-Berlin 1956
Im Sommer 1955 war unser Goliath F200 soweit reisefertig aber noch mit der „Ausbaustufe“ 1 auf Testfahrt – an die Ostsee nach Sütel.
Problemlos und wie erhofft erreichten wir die Ostsee, hatten ein paar erholsame Tage, und kamen genauso gut wieder in Berlin an.
Die Liste der notwendigen Änderungen an Ausrüstung und Fahrzeug war lang. Aber daran hat sich bis heute nicht viel geändert….
Da gab es die Luftmatratzen, die entgegen jeder Aussage des damals einzigen Berliner Camping-Geschäfts, zum Sitzen völlig ungeeignet waren, oder das Plastikgeschirr, das bei heissen Speisen weich wie eine ebensolche Tüte wurde oder Tassen, deren Henkel bei Befüllen mit dem Morgenkaffee zügig nach oben drifteten, der Kocher, das Kochgeschirr und vieles mehr.
Es ist der 27.7.1956 – 14.00 Uhr
Ausbaustufe 2 ist fertig, alle Vorbereitungen erledigt, Ersatzteile und Ausrüstung verstaut. Das Reisekapital – exakt DM 600.- – ist gesichert.
In bar, wie auch sonst?
Aus dem Autoradio hämmerte Bill Haleys „Rock around the clock“ – nur bei uns nicht – wir hatten noch keins.
Es konnte los gehen!
Die Nachbarn standen bei unserer Abfahrt weinend! Spalier, sie waren der Meinung, uns niemals wieder zu sehen. Und das arme Kind…
Da mussten wir durch.
Zusätzlich mussten wir auch durch die „Zone“. Ohne die Durchfahrt durch die „Sowietisch besetzte Zone“, kurz SBZ, konnte man Berlin nicht verlassen. Hier wurde man am ersten Kontrollpunkt Drewitz zunächst mit einer Abgabe konfrontiert, die gerade wieder in aller Politiker Munde ist, der PKW-Maut.
Damit und mit einem zusätzlichen Laufzettel (zur Überwachung der Ø-Geschwindigkeit) waren wir gut gerüstet für die Fahrt durch die Zone. Endlich konnte man unseren getunten F200 voll ausfahren. Die blaue Wolke aus 2-Taktöl wurde langsam schwächer, der Motor fühlte sich blendend.
Dass hinter jedem besseren Schild oder Baum die Vopos (Volkspolizei der DDR) warteten, schreckte uns nicht, denn 45km/h stand nicht auf deren Abschussliste.
Um 19.05 erreichten wir den Grenzkontrollposten Marienborn und weiter ging es nach Seesen im Harz. Da der ausgewiesene Campingplatz komplett unter Wasser stand, unser Goliath immer noch nicht schwimmfähig war, zogen wir es vor, hinter einer Tankstelle zu übernachten.
Am folgenden Tag, bei km 10.331 km machte unser Auto nur noch „tuck, t-u-c-k, t u c k“ und fuhr nicht mehr. Auf solche Tücken wohl vorbereitet, gab es nur eins, Polbrücke in der Kerze. Also kurz die Kerze raus, den kleinen Krümel zwischen Elektrode und Zündkerze mit dem Fingernagel weggedrückt, Zündkerze wieder eingeschraubt und schon rauschten bzw. tuckerten wir weiter. Da der Motor unter der Sitzbank sass, war das eine schnelle Reparatur. Erwähnenswert noch, dass der Motor unsere permanente Sitzheizung darstellte.
Hier gehört eigentlich ein Foto mit Blick auf Kassel eingefügt, das ich mangels nennenswertem Informationsgehalt einfach weglasse.
Wir erreichten glücklich das Weserbergland mit seinen berüchtigten Autobahnsteigungen. Hier übernehme ich einfach den Text aus dem Fahrtenbuch meiner Eltern als Zitat:
So kamen wir dann frohgemut vor eine sehr lange Bergaufstrecke. Die rechte Spur war Baustelle mit Überholverbot und 10% Steigung.
Nach kurzer Zeit war die Autobahn vor uns leergefegt. Hinter uns sammelten sich die Autos zu einer schier endlosen Schlange. Wir an der Raupenspitze krochen mit fast 6 km/h bergauf. Weiter vorne hat ein Streifenwagen auf uns gewartet. Die Polizisten forderten die hinter uns fahrenden Fahrzeuge durch Handzeichen zum Überholen auf, was diese komplett ignorierten und statt dessen weiter langsam hinter uns her zottelten. Als wir uns dann endlich wieder auf freier Strecke befanden, brauste eine Karawane von Autos mit winkenden Insassen an uns vorbei, ausserdem brauste noch etwas, nämlich ein weiterer Polizeiwagen! Der dienstbare Geist im Mercedes forderte uns durch nicht misszuverstehende Zeichen auf, ihm auf den nächsten Rastplatz zu folgen. Dort erwartete er uns mit gestrenger Miene, umgeben von vielen Schaulustigen. Es entspann sich nun folgender Dialog:
Polizist: „Wie kommen Sie überhaupt auf die Autobahn?“
Mein Vater: „In Berlin raufgefahren und noch nicht wieder runter!“
(allgemeines Grinsen der Schaulustigen).
Polizist: „Sie haben uns auf der Steigung den gesamten Verkehr blockiert! Sie sind ja langsamer als der langsamste LKW!“
Mein Vater: „Das stimmt nicht, auf der vorangegangenen Steigung haben wir einen LKW überholt, der nur 5 km/h fuhr und wir 6 km/h.“
(Erstes Gelächter der Umstehenden)
Polizist: „Zeigen Sie mir Ihre Papiere. Ich möchte sehen, ob der Wagen überhaupt für die Autobahn zugelassen ist!“
Mein Vater übergab ihm die Papiere: „Bitte, laut Zulassung fährt der Wagen 45 km/h und für die Autobahn werden überhaupt nur 40 km verlangt!“
Polizist: „Sie fahren aber viel zu langsam!“
Mein Vater: „Die 40 km, die ein Fahrzeug, das die Autobahn benutzen darf, unbedingt fahren muss, beziehen sich ja auf eine ebene Strecke und nicht auf einseitig gesperrte Autobahnen mit 10 % Steigung.“
Polizist: „Wo wollen Sie überhaupt hin?“
Mein Vater: „Nach Barcelona“.
Schallendes Gelächter der immerhin jetzt schon auf über 20 Personen angewachsenen Umstehenden.
Mein Vater: „Wenn Sie das nicht glauben, dann kann ich Ihnen meinen Reisepass zeigen, in dem das spanische Visum eingetragen ist, ferner mein Carnet de Passage für den Wagen, sowie internationaler Führerschein und internationale Zulassung und die „grüne Versicherungskarte“. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich mir diese teuren Papiere zum Aufenthalt im Schwarzwald besorgt habe!!
Heiterkeitserfolg bei den Umstehenden.
Der Polizist gibt das Rennen auf und fordert uns auf, zwecks Geschwindigkeits-Kontrolle vor ihm her zu fahren.
Da die Steigung aber länger war, als die Geduld des Polizisten, gab er nach 10 min auf, drückte kräftig auf seinen Gashebel und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Nach und nach überholten uns dann die Zuhörer unseres netten Dialoges auf dem Parkplatz. Kaum einer versäumt beim Überholen recht kräftig und lange zu hupen und uns mit allen verfügbaren Armen und Beinen zuzuwinken.
Am nächsten Tag erreichten wir Heidelberg mit seinem schön gelegenen Campingplatz, direkt am Neckarufer.
Dem Platzwart bereitete die Klassifizierung unseres Fahrzeuges einiges Kopfzerbrechen. Als Auto wollte er es nicht anerkennen. Dazu hätte es zu wenig Räder. Für ein Motorrad war es aber schon wieder zu gross. So stufte er uns in die Klasse „Motorrad mit Beiwagen“ ein.
Am 29.7.1956 überfuhr der Goliath nach kaum 10 Minuten Kontrolle das erste Mal die Grenze nach Frankreich. Tagesziel war der Campingplatz bei Belfort.
Das Publikum war sehr international. Den Hauptanteil stellten die Berliner mit immerhin 2 Fahrzeugen, während England, Dänemark und selbst Frankreich nur je ein Zelt aufzuweisen hatten.
Zum Abendbrot gab es den ersten französischen Rotwein…
Jetzt ging es zügig weiter Richtung Besançon. Der Tacho sprang auf die nächsten x1000km und bot einen Grund zum Anhalten, Bremsen nachstellen, Reifen kontrollieren, Fotografieren.
Dank unserer minimalen Reisegeschwindigkeit entging uns das Schild mit der Aufschrift „Belvédère du Saut du Gamache“ nicht. Inzwischen dank mehrspuriger Schnellstrasse etwas schwieriger zu finden, ist der Ausblick den Halt immer wieder wert, Ausblicksterrasse inclusive.
Des nachts erreichten wir Lyon und fanden den sogenannten Campingplatz. Mein Vater beschrieb ihn wie folgt:
„Es war ein nicht eingezäuntes Stück Kopfsteinpflaster, zum Teil unter den Brückenbogen der Rhone gelegen, bedeckt mit den Überresten der Güter, die die dort ausladenden Schiffe übrig lassen. Die Bänke sind besetzt mit sehr fragwürdigen Gestalten, die dort scheinbar jede Nacht ihr Stammquartier beziehen. An Einrichtungen gab es nichts.“
Also entschlossen wir uns, durch Nacht und Nebel nach Vienne weiterzufahren. Gegen Ende des Tages erreichten wir den Platz. Eiskalt war es, nass, windig und wir waren todmüde.
Am nächsten Morgen gab mein Vater (er war seinerzeit in Belfort stationiert und somit bestens mit den Besonderheiten vertraut) eine Lerneinheit „Sichere Benutzung französischer Stehtoiletten“.
Inzwischen ist es Anfang August und wir nähern uns der spanischen Grenze. Unser erstes Ziel ist der Campingplatz von Girona, den wir am 3. August erreichten. Er gehörte uns ganz alleine! In der Hochsaison!
Am folgenden Tag erreichen wir unser „eigentliches“ Ziel, den Strand unter Pinien, ca. 15km südlich von Barcelona, bei Casteldefels.
Die Frage, wer ausser uns, noch aus Berlin hier eingetroffen war, lässt sich einfach beantworten. Niemand.
Diese Strand- und Pinienwald-Flächen wurden uns damals für 6 Peseten/qm gerne auch 66 Pfennige/qm zum Kauf angeboten….
Später war die Fläche als „Camping La Balena allegra“ bekannt.
Von Montag bis Freitag nachmittag waren Strand und Pinienhain menschenleer – ausser uns natürlich. Am Wochenende standen plötzlich Bodegas unter den Pinien, es gab Helados und Vino und gefühlt war ganz Barcelona hier und hat gefeiert.
Mit einer Familie aus Barcelona hatten sich meine Eltern angefreundet, worauf selbstverständlich ein Besuch in der Stierkampfarena in Barcelona auf dem Plan stand (ohne meine Mutter und mich). Dafür fanden wir tags darauf den immerwährenden Rohbau der Sagrada Familie höchst beeindruckend.
Inzwischen schrieben wir Mitte August und die Rückfahrt drohte unausweichlich. Wir bewegten uns streng an der Costa Brava entlang über Callela, Bellamar, Camping Murtra.
Am 13. August ein Zwischenstopp auf dem Campingplatz bei Murtra. Hier trafen wie das erste Mal unterwegs ein Paar aus Deutschland. Und hatten Zeit genug, den Poron auszupacken und den spanischen Rotwein (6 Peseten/Liter) zu verkosten.
Über Beziers fuhren wir recht flott nach Uzès, besichtigten das römische Aquädukt „Pont du Gard“ und erreichten schließlich wieder Lyon.
Kaum ist der 20. August vorüber, sind wir wieder wohlbehalten und ohne nennenswerte Vorkommnisse in Berlin-Lichtenrade eingetroffen. Wir verarbeiteten die vielen Eindrücke und meine Eltern machten die Pläne für die nächste Reise. Die Wunschliste ist war immer sehr lang.
Das Fahrzeug dürfte etwas geräumiger und etwas schneller sein, ein bisschen mehr Komfort wäre auch ganz nett. Und, und, und…
Damit schien Barcelona schon garnicht mehr so weit weg.
Der Goliath F200 und sein Werdegang bei uns wird in diesem Beitrag beschrieben:
https://berndwoick.de/goliath-f200/
Goliath F200
Berlin-Lichtenrade, 1955.
Für runde 250 DM erstand mein Vater (Heinz Woick) dieses Dreirad Baujahr 1935 von einer Autoverwertung und machte es zunächst als Lieferwagen fahrtüchtig.
Der Traum meiner Eltern war, an der vom Berliner Camping Club für Sommer 1956 ausgeschriebenen Rallye nach Barcelona teilzunehmen.
Davon waren wir zu diesem Zeitpunkt noch sehr weit entfernt.
Der Goliath war mit einer Höchstgeschwindigkeit von 38km/h in den Papieren eingetragen – damit war das Fahren auf der Autobahn leider nicht zulässig. Der gebläsegekühlte 200ccm 2-Taktmotor leistete 5,5PS, zu wenig, um die für die Autobahn geforderten 45km/h Vmax, bzw. 40km/h Dauergeschwindigkeit auf der Ebene erreichen zu können.
Am cw-Wert war nichts zu ändern, somit musste die Motorleistung erhöht werden.
Der Motorenhersteller, die Fa. Ilo (Ilo = Esperanto für Werkzeug) in Pinneberg, hatte glücklicherweise noch einige neue Ersatzteile über den Krieg gerettet und so konnte mein Vater Kurbelwelle, Kolben und Zylinder des nächst stärkeren Motors mit 250ccm erstehen.
Die Motorleistung erhöhte sich damit – leicht illegal – auf satte 6,8PS. Damit war der Gang zum TÜV für die Vmax-Erhöhung denkbar. Auf der Berliner AVUS wurden die Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt und dem Eintrag von einer Vmax von 45km/h stand nichts mehr im Wege.
Die Autobahn konnte kommen.
Der Motor verfügte über eine 6V Bosch Dynastart-Anlage. Wahlweise wurde diese als Lichtmaschine zum Aufladen der Batterie genutzt oder eben als Anlasser für den Motor.
Der nicht selten genutzte Nebeneffekt war die Bereitstellung von 1/3 bis 1/2 PS elektrischer Zusatzpower auf Knopfdruck. Mildhybrid eben.
Die Bereifung war so wenige Jahre nach Krieg und Blockade ein besonderes Thema. Neue Reifen waren kaum zu beschaffen oder sehr teuer. Folglich wurde das Reifenprofil nachgeschnitten und wenn der Restgummi auch weg war, sorgte das feine Profil der Leinwand für den nötigen Grip.
Zitat Heinz Woick: „Die Autoreifen dienten nur dazu, den Schlauch vor dem Platzen zu bewahren.“
Ein Lieferwagen mit einer Zuladung von 500kg und einer Ladefläche von 158cm Länge konnte zwar genügend Zuladung vertragen, zum Schlafen allerdings war das zu wenig.
Der Aufbau wurde um 30cm verlängert und aus den beiden Flügeltüren wurde eine Heckklappe mit grossem Fenster.
Unterhalb der Heckklappe wurde ein Unterflurbehälter montiert, der sperrige Gegenstände aufnehmen konnte.
Vervollständigt wurde das „Reisemobil“ durch je 2 Fenster an den Seitenwänden und meine Sitzkiste mit Lehne hinter dem Beifahrersitz. An so triviale Dinge wie passive Sicherheit dachte seinerzeit wirklich niemand. Meine bescheidene Schlafgelegenheit befand sich in der Fahrerkabine, quer über Fahrer- und Beifahrersitz.
Ein Propangas Kocher mit einer 3kg Flasche, diverse Schüsseln dienten als Küche. Um das lästige Aufpumpen der Luftmatratzen zu erleichtern, wurde ein Staubsaugermotor auf 6V umgewickelt und das Saugrad als Gebläserad umfunktioniert, noch ein kleines Gehäuse dazu und fertig war die 6V-Luftpumpe. Da meine Eltern eine Elektromotorenwerkstatt betrieben, war das sozusagen „Tagesgeschäft“.
Die Fa. Goliath in Bremen wurde nach der Reise auf das Fahrzeug aufmerksam und widmete ihm einen Bericht im damaligen 2-Takt Echo – der Goliath Hauszeitung.
Nur wenige Wochen davor bekamen meine Eltern die Urkunde über 300.000km Laufleistung und eine güldene Standuhr als Präsent.
Das passende „z“ war wohl gerade nicht verfügbar….
Wieder nur wenige Wochen davor, erhielten wir die Nachricht, dass man (Goliath Bremen) sich darüber freue, dass der treue F200 die 100.000km erfolgreich erreicht hätte.
Da war die Marketing-Abteilung der Zeit wiedermal weit voraus.
Der Bericht über die Reise Berlin-Barcelona-Berlin und wieviele von den hunderten Anmeldungen schließlich den anvisierten Strand bei Casteldefels (später als „Camping La Balena allegra“ bekannt), 15km südlich von Barcelona erreichten, könnt ihr hier verfolgen:
https://berndwoick.de/berlin-barcelona-berlin-1956/